Studien/Technologievergleich

Im Vergleich: Sercos und Ethercat

Auf den ersten Blick haben Sercos und Ethercat einige charakteristische Eigenschaften gemeinsam. Bei beiden Bussystemen wird Ethernet IEEE 802.3 als Übertragungsphysik und -protokoll genutzt. Beide nutzen das sogenannte Summenrahmenverfahren zur effizienten Bandbreitennutzung und beide verarbeiten die Echtzeit-Protokolle während des Knotendurchlaufes („on-the-fly“), um Laufzeiten zu minimieren. Aufgrund dieser Eigenschaften gehören Sercos und Ethercat zu den schnellsten Industrial Ethernet Protokollen überhaupt.

Bei genauerer Analyse der beiden Lösungen gibt es jedoch teilweise signifikante Unterschiede.

Im Gegensatz zu Ethercat unterstützt Sercos den direkten Querverkehr, der den Echtzeitdatenaustausch zwischen beliebigen Sercos-Geräten innerhalb eines Kommunikationszyklus ermöglicht (Master-Slave, Slave-Slave, Slave-Master). Der direkte Querverkehr zwischen Slaves ist beispielsweise wichtig für dezentrale Steuerungsarchitekturen, z.B. Anwendungen, in denen ein Servoantrieb als virtueller Master fungiert und andere Antriebe diesem exakt folgen müssen.

Bei Ethercat, ist ein direkter Querverkehr nicht zwischen allen Geräten möglich, da die Telegramme nur in einer Übertragungsrichtung verarbeitet werden. Deswegen werden Daten, die zwischen Slaves ausgetauscht werden sollen, normalerweise vom Master eingesammelt, ausgewertet und in einem späteren Kommunikationszyklus wieder verschickt, was zusätzliche Zeit in Anspruch nimmt. 

Darüber hinaus können bei Sercos beliebige andere Ethernet-Protokolle über die identische Netzwerkinfrastruktur übertragen werden, ohne die Echtzeitcharakteristik zu beeinträchtigen und ohne Tunneln zu müssen. Deswegen ist es bei Sercos auch möglich, beliebige Ethernet-Teilnehmer ohne zusätzliche Hardware direkt an das Sercos-Netzwerk anzuschließen.

Bei Ethercat werden diese Protokolle getunnelt, was allerdings voraussetzt, dass das Ethercat-Protokoll bereits initialisiert und in Betrieb sein muss (EoE=Ethernet-over-Ethercat). Außerdem ist eine zusätzliche Logik erforderlich, um die zu übertragenden Telegramme zu zerlegen und wieder zusammenzubauen.

Auch ohne laufende Sercos Echtzeit-Kommunikation kann ein Standard Ethernet-Gerät, wie z.B. ein Notebook, direkt mit jedem Netzwerkteilnehmer zum Zwecke des Datenaustausches, Inbetriebnahme oder Diagnose kommunizieren. Dieses Feature ist auch die Basis für die sogenannte Blended Infrastructure, welche die Koexistenz von Sercos, EtherNet/IP und TCP/IP in einer gemeinsamen Netzwerk-Infrastruktur ermöglicht.

Ein weiterer Unterschied besteht im verwendeten Synchronisierungsverfahren. Bei Sercos wird kein zusätzliches Synchronisierungsverfahren benötigt, da die netzwerkweite Synchronisierung direkt aus dem zyklischen Echtzeitprotokoll abgeleitet wird. Bei Ethercat wird eine Uhrzeitsynchronisation auf der Basis von verteilten Uhren verwendet. Allerdings wird zum Abgleich der verteilten Uhren ein Zeitsynchronisierungsprotokoll benötigt, das die für Nutzdaten zu Verfügung stehende Bandbreite  verringert.

Ethercat nutzt die Geräteprofile von CANopen, wie z.B. das Profil DS402 für Antriebe. Alternativ kann auch das Sercos-Antriebsprofil (SoE) genutzt werden. Dies kann zunächst als Vorteil angesehen werden. Allerdings erhöht dies die Komplexität für den Steuerungshersteller und verschlechtert den Grad der Interoperabilität. Sercos setzt konsequent auf die eigenen Geräteprofile (z.B. für Antriebe, E/As, Encoder), um eine bestmögliche Interoperabilität von Geräten verschiedener Hersteller zu ermöglichen.

Zur Übertragung sicherheitsgerichteter Daten verwendet Sercos das Safety-Protokoll CIP Safety, das auch bei EtherNet/IP und DeviceNet zum Einsatz kommt. Ethercat verwendet ein eigenes Safety-Protokoll, genannt FSoE (Fail-Safe-over-Ethercat).

Neben den technischen Unterschieden gibt es auch unterschiedliche Regelungen im Hinblick auf die Nutzung der jeweiligen Technologie. Beide Echtzeit-Ethernet-Lösungen sind zwar in der IEC 61784/61158 international genormt, allerdings werden die Technologien unterschiedlich lizenziert. Die Rechte zur Nutzung der Sercos-Technologie liegen bei der Nutzerorganisation Sercos International, einer Organisation die sich seit 1990 um die Weiterentwicklung, Standardisierung und Vermarktung der Sercos-Technologie kümmert. Sercos kann frei implementiert werden und wird nicht von einem einzelnen Hersteller dominiert. Sercos besitzt eine kostenpflichtige Mitgliedschaft, um eine herstellerunabhängige Organisation zu unterhalten. Allerdings ist eine Mitgliedschaft nicht erforderlich, um Sercos zu implementieren oder einzusetzen.

Bei Ethercat hingegen liegen alle Rechte bei der Firma Beckhoff. Die Ethercat Technology Group ist ein nicht eingetragener Verein, der keine Rechte an der Ethercat-Technologie besitzt.Die Mitgliedschaft in dieser Gruppe ist kostenlos, aber verpflichtend, um Zugang zu technischen Spezifikationen zu bekommen. Dies ist die Hauptursache dafür, dass die Ethercat Technology Group eine Vielzahl von Mitgliedern besitzt.

Ethercat wird in verschiedensten Anwendungen eingesetzt, sehr viele davon mit geringen Performance-Anforderungen. Deswegen hat Ethercat aktuell einen höheren Marktanteil im Vergleich zu Sercos. Sercos konzentriert sich hingegen auf Produktionsmaschinen und anspruchsvolle Automatisierungsanwendungen.

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